Regeln der Technik

Was passiert, wenn Richtlinien, Merkblätter und die allgemein anerkannten Regeln der Technik/des Fachs vom Auftragnehmer nicht gewürdigt bzw. berücksichtigt werden?

Es entstehen erhebliche Folgekosten mittelbarer und unmittelbarer Art zu Lasten des Auftragnehmers aufgrund erheblicher handwerklicher Fehlleistungen und anwendungstechnischen Problemstellungen

Zur Sache

In einem besonders repräsentativen Verwaltungsgebäude hat der Auftragnehmer nach entsprechenden Unterbodenvorbereitungsarbeiten textile Bodenbeläge verlegt bzw. geklebt.

Die Besteller haben mehrfach gegenüber dem vorgenannten Auftragnehmer Mängelrüge erteilt.

Die bisherigen Nacherfüllungen brachten jedoch nicht den gewünschten Erfolg; die verlegte Teppichbodenebene ist als ein „Flickwerk“ einzustufen.

Aufgrund des vorgenannten Sachverhaltes erfolgte im Rahmen der Umkehr der Beweislast von der Bestellerseite aus die Einleitung eines außergerichtlichen Beweissicherungsgutachtens.

Tatort Baustelle

= Stückelungen/Flickwerk einer textilen Bodenbelagebene einschließlich Hohlleger/blasenartige Erhöhungen

Was ist passiert?

Anlässlich des Gutachtertermins wurde zu Protokoll gegeben, dass auf einer Gesamtgrundrissfläche von ca. 800 m² der textile Bodenbelag als Bahnenware nach entsprechenden Unterbodenvorbereitungsarbeiten vollflächig verlegt bzw. geklebt worden sei.

Für die Unterbodenvorbereitungsarbeiten und die Klebung sollen Verlegewerkstoffe/

Verlegewerkstoffsysteme handelsüblicher Verlegewerkstoffhersteller zum Einsatz gekommen sein.

Im Erdgeschoss ist der textile Bodenbelag auf einer Grundrissfläche von ca. 100 m²

auf einer zementären Estrichkonstruktion/Lastverteilungsschicht und im Obergeschoss auf einem Bestandsboden/Nutzboden = Marmornatursteinebene verlegt worden.

Der Untergrund im Obergeschoss = die Marmornatursteinebene soll mit einem Vorstrich/Haftbrücke vorbehandelt und anschließend mit einer speziellen Spachtelmasse/Ausgleichmasse egalisiert worden sein.

Weiterhin wurde auch die Treppenkonstruktion mit dem hier in Rede stehenden Bodenbelag verlegt bzw. geklebt.

Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass es sich bei diesem hier in Rede stehenden Verwaltungsgebäude um ein besonders repräsentatives exklusives Objekt handelt.

Bei der üblichen Baubegehung der Teppichbodenflächen konnten in aufrecht stehender Haltung je nach Lichteinfall und Lichtreflexion aber auch aus unterschiedlichen Betrachtungswinkeln die folgenden Sachverhalte ermittelt werden:

Jeweils zu den Türdurchgängen hingehend wurden eine Vielzahl Teppichbodennahtkanten ermittelt mit Fugenbreiten/Nahtkantenöffnungen bis zu 3 mm  einhergehend mit unüblichen Aufwölbungen innerhalb der Teppichbodenebene. Es wurde eine Vielzahl Fehlstellen und eine fehlerhafte Anarbeitung zu angrenzenden Bauwerksteilen hingehend ermittelt bzw. nachgewiesen.

Bereits bei üblicher Begehung der Teppichbodenebene wurden unübliche Knirschgeräusche/ Knarrgeräusche deutlich wahrnehmbar bezogen auf das Obergeschoss, insbesondere im Foyer/Flurbereich und in den jeweiligen Büroräumen.

Im Besprechungsraum waren Erhöhungen/Fremdkörpereinschlüsse auf kurzen Nennmaßbereichen unterhalb der Teppichbodenebene nachweisbar.

Im Bereich der Treppenkonstruktion (Setzstufen/Trittstufen) waren partiell mangelhafte Klebungen des Teppichbodenbelages nachweisbar.

Der Teppichboden lag vor dem Treppenkantenprofil abgeschnitten vor und nicht, wie üblich, bis unterhalb des Treppenkantenprofils bzw. bis unterhalb dem „Einschub“.

Anmerkung

Auf die unabdingbar erforderliche Verkehrssicherheit bezogen auf die vorgenannten Parameter wird an dieser Stelle bereits hingewiesen.

Innerhalb der Teppichbodenebene im Obergeschoss zeigten sich in vielzähligen Teilbereichen inselförmige Plakatierungen (Kantenerhöhungen) auf der Teppichbodenoberfläche ab.

Weiterhin konnte festgestellt werden, dass überwiegend im Flächenbereich unterhalb der Schreibtische im Drehstuhlsesselbereich auch eine deutlich sichtbare Flusenbildung (der Polschicht) vorlag.

Auch Farbabweichungen zwischen den nebeneinander liegenden Teppichbodenbahnen und auch gegenüber einem Rückstellmuster waren nachweisbar.

Es erfolgten Prüfungen/Untersuchungen der farblichen Differenzen der Teppichbodenpolschicht mittels dem in Fachkreisen bekannten anerkannten großen Graumaßstab.

Beck’scher VOB- und Vergaberechts-Kommentar VOB, Teil C, Ziffer 194:

Für die Prüfung zur Bewertung der Änderung der Farbe kann der Graumaßstab nach DIN EN 20105 – A02 bzw. ISO 105 – A02 herangezogen werden. Der 5-stufige Graumaßstab besteht aus 5 Paaren matter, grauer Gewebeabschnitte, die die Farbabstände veranschaulichen, die den Echtheitszahlen 5, 4, 3, 2 und 1 zugeordnet sind. Der erste Abschnitt jeden Paares ist neutralgrau und der zweite Abschnitt des Paares, das die Echtheitszahl 5 veranschaulicht, ist identisch mit dem ersten Abschnitt. Die zweiten Abschnitte der übrigen Paare zeigen von 5 nach 1 zunehmend hellere Graustufen, so dass jedes Paar zunehmende Kontraste oder Farbabstände veranschaulicht, die farbmetrisch festgelegt sind. Zwischenzeitlich existieren auch Graumaßstäbe mit Zwischenstufen, d. h. 5, 5/4, 4, 4/3, 3, 3/2, 2, 2/1 und 1.

Beim Bewerten der Änderung der Farbe werden ein Vergleichsmuster und das Stück aus der verlegten Ware nebeneinander gelegt.

Der Graumaßstab für die Bewertung der Änderung der Farbe wird dann daneben gelegt. Diejenige Stufe des Graumaßstabes, für die die Änderung der Farbe, die den Farbabstand zwischen der Qualitätsprobe und der zu prüfenden Probe am nächsten liegt, wird als Echtheitszahl angegeben. Die Echtheitszahl 5 wird nur dann gegeben, wenn zwischen der Rückstellprobe und der verlegten Ware kein Unterschied zu erkennen ist.

Die Echtheitszahlen 4 sind eingestuft in fabrikationsbedingte und daher unvermeidbare Farbtonänderungen, während die Echtheitszahl 3 einen Ermessensspielraum darüber eröffnet, ob diese Farbtonveränderung das Gesamtbild des Belags erheblich beeinträchtigt. Liegen die Echtheitszahlen 2 oder 1 vor, so beeinträchtigt die Farbabweichung das Gesamtbild des Belages erheblich.

Die Bestimmung des Abschnittes 2.6, dass Farbabweichungen nur geringfügig sein dürfen, stellen eine Allgemeine Geschäftsbedingung dar. Verwendet der Auftraggeber diese Klausel, so ist sie wirksam, da es dem Auftraggeber freisteht, Farbabweichungen hinzunehmen. Allerdings ist diese Klausel sehr Konflikt beladen. Denn was für den Auftragnehmer geringfügig ist, kann für den Auftraggeber bereits erheblich sein. Will der Auftraggeber das Maß der erlaubten Farbabweichung selber bestimmen, so empfiehlt es sich im Vertrag anzugeben, ob und welche Abweichung nach dem Graumaßstab noch erlaubt sein soll.

Bei der Beurteilung sind u. a. die Möblierung, die Lage der Farbtonabweichung sowie die Nutzung des Raumes zu berücksichtigen. Bei mehr als nur geringfügigen Farbtonabweichungen, z. B. Stufe 3 oder intensiver, können Wertminderungen angesetzt werden. Es liegt grundsätzlich in der Verantwortung des Sachverständigen, die Beurteilung und Bewertung unabhängig durchzuführen und danach die Wertminderung anzugeben. Die Wertminderungssätze gelten für den Rechnungsbetrag der Bodenbelagarbeiten für den betreffenden Teilflächenbereich, sofern dieser in sich    abgeschlossen ist. Ansätze zur Wertminderung nach Stufen des Graumaßstabes befinden sich in der Tabelle 1 des Merkblattes „Beurteilung von Farbtonabweichungen bei Bodenbelägen unter Anwendung des großes Graumaßstabes“ des BSR – Bundesverband der vereidigten Sachverständigen für Raum und Ausstattung e. V.

Bereich/Stufe

gewerblich

mittlere Bedeutung

besondere Bedeutung

3

< 

10 bis 15 %

ab 25 %

3 bis 4

5 bis 7

< 10 %

10 bis 15 %

> 4

Keine

bis 5 %

5 bis 10 %

Die beiden Flächenbereiche des verlegten Teppichbodens und das Rückstellmuster der hier in Rede stehenden Teppichbodenfläche wurde mittels großem Graumaßstab überprüft und erbrachten den Wert ³ 3 – 4 (gleich Echtheitswert).

Je nach Lichtreflexion und Lichteinfall wurde bei der Überprüfung mit dem großen Graumaßstab auch ein Echtheitswert von 4 ermittelt bzw. festgestellt.

Diese Werte sind entsprechend den allgemein anerkannten Regeln der Bautechnik/des Fachs als geringfügig einzustufen.

Verdammt nochmal – worauf sind denn diese Markierungen/Erhöhungen auf der Oberfläche der Teppichbodenkonstruktion

zurückzuführen?

Hierzu wurden Teppichbodenbahnen aufgenommen und überprüft.

Eine funktionsfähige Arretierung/Haftung der ca. 1,2 – 1,5 mm dicken Spachtelmassenschicht/Ausgleichmassenschicht zum Untergrund hingehend = Marmorbodenebene konnte nicht ermittelt werden.

Mittels eines Stecheisens konnte die Spachtelmassenschicht/Ausgleichmassenschicht schollenartig entfernt werden (hochgenommen werden).

Die weitere Überprüfung der bereits genannten inselförmigen Plakatierungen mittels Hammerprobe (Abklopfen) ergab den Nachweis, dass Flächenbereiche innerhalb der Teppichbodenebene großflächig Hohlleger aufweisen, die bei üblicher Begehfrequenz die erwähnten Knirschgeräusche innerhalb der Fußbodenkonstruktion/Teppichbodenebene verursachten.

Die an Ort und Stelle durchgeführten mikroskopischen Untersuchungen im Bereich der Prüfstellen ergaben den Nachweis, dass keine funktionstaugliche/funktionsfähige Grundierung/Haftbrücke auf der Marmorbodenebene sichtbar war.

Auch Schleifspuren eines intensiven Reinigungsschliffs im Bereich der Prüfstellen waren nicht feststellbar.

Zusammenfassende Beurteilung

Zum Zeitpunkt des Gutachtertermins war die Nutzungs- und Gebrauchstauglichkeit sowie die Werterhaltung, Wertschöpfung und Nachhaltigkeit der hier in Rede stehenden Teppichbodenflächen überproportional beeinträchtigt.

Die Mängelrüge des Bestellers gegenüber dem Auftragnehmer war und ist gerechtfertigt.

Bezogen auf die hier in Rede stehenden Schadensparameter entsprechen die Leistungen des Auftragnehmers nicht den allgemein anerkannten Regeln des Fachs/der Technik und auch nicht den entsprechenden Richtlinien und Merkblatt des Teppichbodenherstellers und auch nicht der Verlegewerkstoffherstellerin.

Sämtliche Nacherfüllungen müssen mit der im Verkehr üblichen Sorgfalt entsprechend den allgemein anerkannten Regeln des Fachs unter Einbeziehung der VOB, Teil C,

DIN 18 365 „Bodenbelagarbeiten“ sowie den Vorgaben des Teppichbodenherstellers  bzw. den Vorgaben der Verlegewerkstoffherstellerin entsprechen bzw. erfolgen.

Fotodokumentation:

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